Abendschau SWR 3
Eine Ärztin nimmt zu Vitamin D Stellung – erklärt wie wichtig dieses Vitamin für die menschliche Gesundheit sei.
Sagt dann, eine Viertelstunde am Tag im Freien genüge – dann bilde der Körper ausreichend Vitamin D.
Vergessen hat sie dabei dass wir hier breitengradmässig etwa auf Höhe von Toronto liegen und nicht in Höhe von Südamerka. Aber auch da würde eine Viertelstunde wohl nicht genügen.
Dann kam eine junge Patientin zu Wort bei der die Ärztin (kurzgefasst) Erschöpfungssyndrom festgestellt hat – auch da könne Vitamin D helfen. Sie hat ihr für 3 oder 4 Monate die Einnahme von Vitamin D empfohlen. Die Dosierung wurde nicht erwähnt. Danach kam die junge Patientin im Interview wieder zu Wort – es hatte sich an ihrem Zustand nichts geändert.
Meine Frage – warum kam die Ärztin nicht auf den Gedanken den Vitamin D3 Spiegel nicht zu messen nach unserem Praxismotto: Erst messen – dann handeln.
Und weil es in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat dieses Phänomen aus Halbwissen und Halbunwissenheit und seit der Änderung im Amt des amerikanischen Präsidenten kamen noch die fake news hinzu, können Sie im Anschluss gleich einen Beitrag zu diesem Thema lesen, den Frau Aichholz schon auf unserer früheren Webseite eingestellt hatte:
Als ich am 31. Mai morgens um 5 Uhr (eine Zeit die ich empfehlen kann, da ist man noch ganz entspannt) im Internet die neusten Artikel zur Weltpolitik las, war ich erneut … beeindruckt (?!). Herr Spicer, der Sprecher von US-Präsident Trump war begeistert (Süddeutsche Zeitung) über die Kritik von Bundeskanzlerin Dr. Merkel. Diese Kritik sei eine „Bestätigung“ für den „Kurs“ und den „Erfolg“ von Trump bei dem (andere nennen seinen Auftritt desaströs) gerade zu Ende gegangenen G7-Gipfel in Taormina.
Das neue Wort für derartige, sachlich-inhaltlich nicht gerechtfertigte Umdeutungen der Realität ist: postfaktisch. Das beinhaltet das Bestreben, Sachzusammenhänge durch wiederholte Falsch- darstellung umzudeuten, und aus der Unwahrheit im Denken einer größeren Öffentlichkeit eine „neue“ Wahrheit zu kreieren.
Ins Zeitalter des „postfaktischen“ sind jetzt auch die FAZ und die Zeit online eingetreten! Am 23. April erschien in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung der Artikel „Sonne statt Stoff“ von Frau Denise Peikert. Am 15. Juni 2016 in der Serie 10 nach 8 in der Zeit online der Artikel „Glutenfrei in die Hölle“ von Frau Sabine Kray. Am 7. Mai 2017 der Artikel „Glutenverzicht kann ungesund sein“ ebenfalls in der Zeit online. Letzterer Artikel beruft sich auf eine im BMJ gerade erschienene wissenschaftliche Publikation von Benjamin Lebwohl et al (2017) „Long term gluten consumption in adults without celiac disease and risk of coronary heart disease: prospective cohort study“ BMJ. 2017; 357: j1892. Published online 2017 May 2. doi: 10.1136/bmj.j1892
Artikel dieser Provenienz fallen in die Kategorie: demagogisch-ideologische Propaganda. Demagogie kommt aus dem griechischen, und bedeutet Volksverführung. Sie ist im abwertenden Sinne ideologische Hetze. Unter einer Ideologie ist eine „Weltanschauung“ – religiös oder säkular – zu verstehen, deren Vertreter sich auch durch das Vorliegen besserer, im Sinne unserer modernen Medizin, Evidenz (zwingen- der Erkenntnis, die für sich Wahrheit in Anspruch neh- men kann) nicht überzeugen lassen. Entweder man glaubt, oder aber nicht! Propaganda schließlich, vom lateinischen propagare, ist der gezielte Versuch politische und öffentliche Meinung zu manipulieren.
Allein die Titel der Artikel der Journalistinnen Peikert und Kray sind Inbegriff einer demagogisch-ideologischen Propaganda. Sie sind reißerisch und unsachlich. Es wird noch nicht einmal der Versuch gemacht, die aufgeworfenen Fragen objektiv zu betrachten.
In der Headline des Artikels von Frau Peikert heißt es: „Tausende Deutsche glauben (Ideologie) an Vitamin- D-Mangel zu leiden. Deshalb machen sie Tests und kaufen Pillen. Das freut die Hersteller, kostet die Krankenkassen jede Menge Geld, ist aber sonst völlig unnötig (Propaganda) – und manchmal sogar gefähr- lich (Demagogie).
Frau Peikert schreibt dann als Einleitung ihres Artikels: „Das Wichtigste gleich zu Beginn. Wer an einem schweren Vitamin-D-Mangel leidet, kann auf Dauer ernsthaft krank werden.“ Später zitiert sie einen Allgemeinmediziner, Dr. Appel (bei „Peikert“ nur „Appel“): „Der Allgemeinmediziner ist nicht der einzige, der von seinen Patienten inzwischen häufig nach Vitamin-D-Tests gefragt wird. Aktuell bezahlen die Krankenkassen nach den Zahlen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK etwa eine Millionen Vitamin-D-Tests im Quartal. 2010 waren es noch etwa 250.000 Tests. Eine Vervierfachung also, die die Kassen im Jahr mindestens 73 Millionen Euro kostet. Rasant angestiegen sind die Zahlen nach 2012 – und zwar wegen eines Missverständnisses.“ Als „wissenschaftlichen Experten“ beruft sich Frau Peikert auf „Chefarzt Welte“: „Chefarzt Welte von der medizinischen Hochschule Hannover gibt seinen Patienten Vitamin D nur streng nach den ärztlichen Leitlinien. Nur dann also, wenn sie bereits an Osteoporose leiden oder ein Medikament mit Cortison einnehmen. Bei allen anderen, insbesondere zur Vorsorge gegen irgendwas bei gesunden Menschen, fehlen ihm Beweise, dass zusätzliches Vitamin D hilft.“
Das ist doch richtig nett von „Chefarzt Welte“. Erst wird so lange gewartet, bis einen schwere chronische Erkrankung eingetreten ist, eine manifeste Osteoporose in diesem Fall, und dann wird nach Lei(t)dlinie eine Vitamin-D-Unterdosierung verordnet, die auf jeden Fall wirkungslos bleiben wird. Die WHO hat hingegen schon vor Jahren auf das „drängendste Problem“ der industrialisieren westlichen Länder hingewiesen. Die Osteoporose. Statistisch erleidet in Deutschland alle 7 Minuten eine Frau über 50 einen Osteoporose-bedingten Wirbelkörperbruch. Ebenfalls statistisch bleiben davon ca. 90 % undiagnostiziert und demzufolge auch unbehandelt. Prävention würde nicht nur viel Leid, sondern auch viel Geld sparen. Eine Beseitigung des in Deutschland epidemischen Vitamin-D-Mangels wäre zum Beispiel eine solche Maßnahme, und sie wäre vergleichsweise billig.
Frau Peikert hätte sich natürlich die Mühe machen können, wirkliche Vitamin D Experten zu der Frage der Sinnhaftigkeit einer Vitamin D Substitution zu befragen. Zum Beispiel den führenden deutschen Experten Prof. Dr. med. Armin Zittermann. Der hat schon 2010 inter- national einen Artikel mit dem Titel: „The estimated benefits of vitamin D for Germany.” Zittermann A (2010) [Mol Nutr Food Res. 54(8):1164–1171] publiziert, in dem er zu dem Ergebnis kommt, dass der Vitamin-D-Mangel in Deutschland Krankheitskosten von ca. 37,5 Milliarden Euro jährlich verursacht. Das sind ebenfalls ca. 514 mal 73 Millionen Euro. Oder Sie hätte Frau Prof. Heike A. Bischof-Ferrari in Basel interviewen können, die arbeitet am Universitätsspital in Basel und ist ebenfalls eine international renommierte Vitamin-D-Expertin … Aber warum wirkliche „Experten“ zum Thema befragen? Da ist das Risiko differenzierte Antworten zu erhalten, die nicht ins vorgefertigte ideologisch-demagogische Konzept passen doch viel zu groß! Und schließlich bleibt Frau Peikert auch noch die einfachen Antworten auf die Fragen schuldig, die sie in ihrem Machwerk selber aufruft: Wie – bitte schön – stelle ich (oder „Chefarzt Welte“ oder „Appel“) denn nun fest, ob ein Mensch einen „schweren Vitamin-D-Mangel“ hat? Benutzen diese Herren dafür eine Kristallkugel? oder ein Pendel? oder messen sie vielleicht auch den Serum Vitamin-D- Spiegel? Der Vitamin-D-Serum-Spiegel, möchte man Frau Peikert zurufen, ist nun einmal keine „Glaubens- frage“, sondern lässt sich exakt ermitteln. Der Rest dieses infamen Artikels ist genauso gestrickt. Es geht um „Meinungsmache“, um „Verunsicherung“ der Leser- schaft, und um Diffamierung aller, die sich entweder auf der Therapeuten Seite ernsthaft mit dem Thema „Vitamin-D-Mangel in Deutschland“ auseinander setzten, oder derer, die sich – bis jetzt im allgemeinen auf ihre eigne Kosten, diesem Mangel nicht „hingeben“ wollen. Und dies scheint auch noch zu funktionieren, obwohl die Leserschaft ja eigentlich schon zur intellektuell gehobenen Klasse der Deutschen gehört, denn wer liest sonst die FAZ?
Genau so ist auch der Artikel von Frau Kray „gestrickt“. Es wird versucht, das berechtigte Interesse von immer mehr Menschen in Deutschland, sich gesund zu ernähren, lächerlich gemacht. Fragen zur Nahrungs- mittel Qualität, zur Schadstoffbelastung von Nah- rungsmitteln, zur Veränderung der Nahrungsmittel- Zusammensetzung als Folge von gentechnischen und anderen Züchtungsveränderungen, die in den letzten Jahrzehnten allein von den Gewinninteressen der Nahrungsmittelkonzerne und industrialisierten Großbäckereien diktiert wurden, werden natürlich nicht diskutiert. Dass zum Beispiel in deutschen Industrie- Backwaren inzwischen 80 Zusatzstoffe (maximal 20 davon gleichzeitig) zugelassen sind, und dass auf diese Weise aus „Brot“ Chemiebomben geworden sind, mit erheblichen Auswirkungen auf die Gesundheit einer zunehmend großen Zahl von Menschen, darauf wird natürlich nicht eingegangen. Dafür werden – ideologisch-demagogisch korrekt – Bücher, wie zum Beispiel das des amerikanischen Arztes Dr. med. William Davis „The weat belly“, deutsch: Die Weizen- wampe, durch den Deck gezogen.
Und wenn man dann schaut, warum Zeit-online den Artikel von Frau Kray jetzt wieder aufgewärmt hat, mit dem Bezug auf den wissenschaftlichen Artikel von Benjamin Lebwohl et al (2017), dann könnte man wirklich völlig die Fassung verlieren. Da wird basierend auf einer retrospektiven Analyse von Daten aus der Nurses’ Health Study von 64 714 Frauen und aus der Health Professionals Follow-up Study von 45 303 Männern aufgrund von „semiquantitative food fre- quency questionnaire“ – also halbquantitativen Nahrungsmittel Verzehr Fragebögen aus den Jahren 1986 bis 2010, mit der Fragestellung ausgewertet, ob der Gluten Gehalt in der Ernährung einen epidemiologischen Zusammenhang mit dem Auftreten tödlicher oder nicht tödlicher Herzinfarkte hat. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man über einen solchen „wis- senschaftlichen“ Artikel lachen. Es ist doch für jeden, Wissenschaftler oder nicht, offensichtlich, dass dieser Kausale (also ursächliche) Zusammenhang auf der Hand liegt, und schon lange eine drängende wissenschaftliche Frage ist, die der dringenden Beantwortung harrt. Nicht verwunderlich, dass es keinen ursächlichen Zusammenhang gibt – zwischen Gluten Gehalt der Ernährung und Herzinfarkt. Dabei wollen wir gar nicht so genau hin schauen, wie solide denn die zu Rate gezogenen Daten wirklich sind. Sie sind ja – immerhin – semiquantitativ!
Angesichts derartiger Artikel und Fernsehsendungen im ARD und ZDF und so weiter, bei denen in den Sendungen des „Wissenschafts-Magazins Nano“ zum Beispiel Kinder einen Monat lang mit Teigwaren und Süßigkeiten gefüttert werden, aber immerhin noch einen Apfel pro Woche zum Essen bekommen, nur damit der Wissenschaftsmagazin Moderator dann der staunenden Öffentlichkeit erzählt, dass mit dieser Ernährung die Vitamin- und Mineralstoffbedürfnisse eines Kindes vollständig genüge getan wird, stellen sich gleich mehrere Fragen:
- Wem nützen solche Sendungen und Artikel?
- Wer gibt sie in Auftrag und bezahlt dafür wahrscheinlich erhebliche Summen?
- Wo bleibt die Aufsichtspflicht öffentlich rechtlicher Medien, und der Journalistische Anstand von ehemals ernst zu nehmenden Zeitungen wie der FAZ und der Zeit, die doch von sich behaupten, sie hätten eine Wissenschaftsredaktion?
- Warum geben sich Wissenschaftler für derart schwachsinnige „Studien“ her?
Nun, zumindest eine mögliche Antwort auf diese Fragen ist die, dass in unseren postfaktischen, neo- kapitalistischen, globalisierten Zeiten Gesundheit eben leider keine einträgliche „Handelsware“ mehr ist, chronische Erkrankung dagegen schon. Immerhin ist alleine in Deutschland unsere Krankheitsindustrie mit einem Umsatz von jetzt ca. 320 Milliarden Euro pro Jahr nicht nur unsere größte Industrie, sondern auch unser größter Arbeitgeber. Jeder 7. Arbeits- platz wird hier zur Verfügung gestellt. Unter diesem Gesichtspunkt sind natürlich Zeitungsartikel wie die hier besprochenen und Fernsehsendungen zur Besten Sendezeit, wie auch äußerst fragwürdige „wissenschaftliche“ Publikationen nicht nur erwünscht, sondern geradezu eine „konditio sine qua non“.
Mit freundlicher Genehmigung von Dr. med. Bernd-Michael Löffler Pfalzburger Straße 43–44 10717 Berlin | Deutschland